SP2 logo

Leiden Tut Weh, 2022

Leiden Tut Weh, 2022

Vernissage 09.03.2022 18-21h
Ausstellung 10.03. – 03.04.2022
Der Künstler wird immer samstags von 14-18 Uhr anwesend sein. Ansonsten nur mit Termin.

Mit der Eröffnung der Ausstellung am 9. März feiern wir im Ausstellungsraum SP2 nicht nur
Reinald Nohals zweiten Auftritt als bildender Künstler mit einer Soloshow in Berlin, sondern auch
seinen 84. Geburtstag.
Der Wiener Reinald Nohal (geb. 1938), ist vor allem bekannt geworden als Gastwirt der legendären
Lokale Exil und Paris Bar, als Freund vieler, teils berühmter Künstler, als Architekt, als Ideenstifter,
als Ausstellungsmacher (Berlin-Klondyke), als Autor (Von Verschiedenem Geschmack) und nicht
zuletzt als Lebemann und Erzähler. Die Ausstellung bringt nun den Fokus auf Reinalds eigene
künstlerische Tätigkeit, auf seine Textbilder („Quadraturen“), seinen Entwurfs- und Bau-TätigkeitsWahnsinn und auf seine dokumentarische fotografische Arbeit.
Seine Freundschaft zu Oswald und Ingrid Wiener brachte ihn nicht nur 1973 nach Berlin, wo sie
zusammen das Exil betrieben, sondern später auch ins kanadische Yukon Territory, wo er eine
Parallelheimat fand.
In Berlin begann auch eine Freundschaft mit Martin Kippenberger, für den Nohal die erste U-BahnStation von Kippenbergers weltumspannendem, fiktivem Metronetzes entwarf. Diese wurde 1993 in
Hrousa, einem Dorf auf der griechischen Insel Syros eröffnet. Zwei Jahre später baute Reinald
Nohal eine weitere U-Bahn-Station, etwa 9.000 km entfernt, in der Goldgräberstadt Dawson City
im äußersten Nordwesten Kanadas, an der Mündung des Klondike in den Yukon River, und zwar
auf dem Grundstück seines ebenfalls von ihm gebauten Dawson City Bunkhouse, einem Hotel
Garni, auch Künstler-Residency, deren erster Resident dann Kippenberger wurde, nachdem er für
die Eröffnungszeremonie angereist war. Es gab ein großes Fest mit Speis und Trank und Tanz, mit
Live Musik von einem Eskimofiddler und seiner Band. Die ganze Stadt war eingeladen, auch der
Bürgermeister und Minister nahmen teil. Der Rest ist Kunstgeschichte.
Es wären noch weitere U-Bahn-Stationen des Duos gefolgt, z.B. in einem Tiroler Gletscher, in einer
Wanderdüne in der Wüste Arabiens, im Tidenhub der norwegischen Granitküste, wäre
Kippenberger nicht zu früh von uns gegangen.
Den Bau der U-Bahn-Station und des Bunkhouse mit seinen 31 Zimmern und 69 Betten finanzierte
Nohal mit dem Verkauf eines ebenfalls von ihm entworfenen und eigenhändig errichteten
Blockhauses, das genau an der Stelle stand, an der 1991 sein erstes kanadisches Zuhause abgebrannt
war. Dieses 1902 gebaute, aus der Zeit des Goldrausches stammende, vom letzten Hochwasser
beschädigte, doch entzückende Blockhaus hatte Nohal Mitte der 1980er erworben, liebevoll
renoviert und möbliert, sowie einen Anbau mit Gästezimmern, Bad und einem größeren Wohnraum
errichtet.
Dort verbrachte er vor allem gerne die eisigen, wunderbar einsamen Winter – no bugs, no dust, no
people – und freundete sich mit den einheimischen Indianern, Trappern, Fischern und Goldgräbern
an. Es kamen auch immer wieder Freunde aus Europa, wo er doch zeitgleich die Paris Bar betrieb,
um Lebensunterhalt und Mittel für weitere Projekte zu erwirtschaften.
Das geliebte Haus gab er, wie es üblich war für die Zeit der daher öfters notwendigen längeren
Abwesenheit in die Obhut eines vertrauenswürdigen Paares, das dann dort mietfrei wohnte, aber
auch nach dem Rechten schauen sollte. 1991 kam das Unglück, als das junge Paar für drei Tage in
die Hauptstadt Whitehorse musste: ein Elektroheizer blieb in Betrieb, Propangas strömte aus und
entzündete sich am Elektrofunken. Das über 90 Jahre gut durchgetrocknete Haus samt Anbau:
Totalschaden, alle Einrichtungen, Bücher, Plattensammlung, Werkzeug, Geschirr, Kleidung,
Ausrüstung, Hundeschlitten, alles verloren. Die 13 Schlittenhunde jedoch hatten überlebt.
Die Nachricht kam am 11. November, sinnlos, sofort hinzureisen. Erst im April konnte Nohal die
vom Löschwasser noch tiefgefrorene Brandstätte aufsuchen; er kroch durch die Ruine und
fotografierte das, was man nun in der Ausstellung sehen kann. Die Bilder waren für über 30 Jahre in
einer Kiste verschlossen und werden so gezeigt, wie vorgefunden.
Diese nun erstmalig geöffnete Time-Capsule Geschichte eines Verlusts, bestehend aus ca. 60
gerahmten Fotografien, dokumentiert dieses dramatische Ereignis. Es öffnet sich ein
kaleidoskopischer Blick in eine bizarre, artifizielle Höhlenlandschaft aus verkohltem Holz,
Eiszapfen, Inneneinrichtung, Architektur – kurz, Menschgemachtes, das extremen Naturgewalten
ausgesetzt wurde – Die Dokumentation transzendiert durch ihre grausame Schönheit vom
persönlichen Verlust hin zum Existentiellen, dem Ausgeliefertsein der menschlichen Existenz an die
Kräfte der Elemente - Feuer, Wasser und Frost, aber zeigt eben auch die Erhabenheit der Natur in
ihrer Willkürlichkeit.
Reinald Nohal hat sich durch den schmerzhaften Verlust nicht ausbremsen lassen, sondern seine
Liebe zur kalten, eigentlich lebensfeindlichen, kanadischen Wildnis nur vertieft - „Der Mann muss
immer bauen. Im Winter planen und im kurzen Sommer Hand anlegen“.
So zeugen die weiteren Bilder der Ausstellung von dem auf den Verlust folgenden Tatendrang –
Reinald Nohal beim Bauend es zweiten Hauses, und ein Bild des Bunkhouse, der U-Bahn-Station,
usw.
Ein ebenfalls ausgestelltes Architektur-Modell zeigt den Entwurf des allerersten Gebäudes, das
bereits in den 80ern 60km flussabwärts am Ufer des Yukon von ihm erbaut wurde.
In Dawson City begann dann auch die von ihm initiierte Ausstellungsreihe Berlin-Klondyke in der
Odd-Gallery, die in Zusammenarbeit mit Irmelin Nohal und Daniela von Arnim die Kunstwerke
von insgesamt über 140 in Berlin lebenden Künstlern aus aller Welt zeigte. Stetig größere
Ausstellungen, bisher insgesamt 15, folgten in Los Angeles, Pfaffenhofen, Leipzig, Gmunden,
Maribor, Lissabon, Berlin und anderen Orten.
Bei all diesen Ausstellungsprojekten stellte Reinald Nohal seine eigene künstlerische Tätigkeit in
den Hintergrund, was es nun um so wichtiger macht, den Blick in dieser Ausstellung auf seine
Arbeiten zu richten.
Seine Textbilder, die Quadraturen, die im vorderen Raum zu sehen sind, verbildlichen Sprachspiele
- Sprüche, die sich sowohl auf Literatur und Philosophie beziehen, als auch dem Leben an sich mit
Humor und Beobachtungsgabe zu Leibe rücken. Das kann mal banal, mal nachdenklich,
melancholisch oder auch obszön ausfallen (#MeToo)
Gehalten sind die Zeichnungen in einer eigens vom Künstler hierfür entwickelten Schriftart,
basierend auf einem Quadrat aus fünf mal fünf Quadraten, in welches sich alle Buchstaben
einschreiben lassen. Die Schrift ist nicht schön zu nennen, wirkt eher spießig, stur. Das englische
Wort square steht für borniert, ja spießig. Das wiederum steht im Gegensatz zu der „Schrägheit“ der
Texte. Wichtig ist Nohal auch die Darstellung auf verschiedenfarbigen Kartons, sowie die ebenfalls
verschieden ausgemalten Sprüche, die sich dadurch auch jeweils anders auffassen lassen.
Aus dieser Serie stammt auch das der Show den Titel gebende Blatt LEIDEN TUT WEH, das
sechsfach variiert im Eingangsbereich zu sehen ist.
Eine kleine Auswahl der gesamten Quadraturen liegt im Büro zur Ansicht bereit.
Es ist schlicht unmöglich, hier wirklich einen Überblick auf Reinald Nohals Leben und Werk zu
bringen, der dem Wahnsinn an Energie, Entdeckungslust und Großzügigkeit gerecht werden würde,
die jeder seiner Äußerungen und seiner Kunst innewohnt.
Eigentlich wäre es an der Zeit für eine museale Überblicksausstellung.
F. Bornstück, 02.02.22

Reinald Nohal, Leiden Poster

Reinald Nohal

Leiden Poster

Reinald Nohal, Installation views from "Leiden Tut Weh"

Reinald Nohal

Installation views from "Leiden Tut Weh"